Eine Brücke nahe der Loreley, das wär’s. Das von der Landesregierung vorangetriebene 40-Millionen-Euro-Projekt soll den Niedergang der Region aufhalten. Doch das Unesco-Debakel von Dresden wegen der Elbbrücke klingt nach. Immerhin bringt der Welterbe-Titel inzwischen wieder mehr Gäste an den Mittelrhein.
Mit seinen Burgen, Ruinen und Weinbergen ist das Mittelrheintal eine der beeindruckendsten Landschaften Deutschlands. Doch der Region, die 2002 von der Unesco in die Welterbeliste aufgenommen wurde, geht es alles andere als gut. Immer mehr Menschen ziehen aus der strukturschwachen Region fort. Die Kommunen kämpfen mit erheblichen wirtschaftlichen und sozialen Problemen und streiten schon seit Jahrzehnten, ob eine Brücke nahe der Loreley die Probleme lösen oder nur noch weiter verschärfen würde.
Von seinem Schreibtisch im evangelischen Pfarramt von St. Goarshausen blickt Günter Rein direkt auf den Rhein, hinüber auf das andere Ufer zur malerischen Schwesterstadt St. Goar und auf die dahinter aufragenden bewaldeten Berghänge. „Die andere Seite ist für mich fast wie Ausland“, sagt der Pfarrer. „Drüben“ beginnt ein anderer Landkreis, eine andere Landeskirche. Es gibt kaum familiäre Verbindungen zwischen den Menschen beider Orte. Das mehrfach geplante, flussübergreifende Kirchenfest ist nie zustande gekommen.
Nach Betriebsschluss der Fähre, an Winterabenden bereits um 21 Uhr, führt der einzige Weg zwischen den Städtchen über die nächstgelegene Brücke im 40 Kilometer entfernten Koblenz. „Früher hat eine Frau vom anderen Ufer bei uns im Chor mitgesungen“, erinnert sich Rein. „Die konnte nur im Sommer zu den Proben kommen.“
Einen Kirchenchor gibt es im rechstrheinischen St. Goarshausen am Fuße des Loreley-Felsens schon seit langem nicht mehr. Kürzlich schloss einer der beiden Supermärkte für immer. St. Goarshausen stirbt aus. Innerhalb von vier Jahrzehnten sank die Einwohnerzahl von 2200 auf 1350 Menschen. Das nahe gelegene Kaub hat sogar schon mehr als die Hälfte seiner Bewohner verloren.
„Wir brauchen eine Brücke“, sagt eine Gastwirtin, die in ihrem urig eingerichteten, aber völlig leeren Lokal auf Kundschaft wartet. „Aber ich glaube nicht, dass ich das noch erleben werde.“ Das von der Landesregierung vorangetriebene 40-Millionen-Euro-Projekt soll den Niedergang der Region aufhalten. Um kein Debakel wie in Dresden zu riskieren, wo der Welterbetitel wegen eines Brückenprojekts wieder entzogen wurde, muss aber auch die Unesco von dem Projekt überzeugt werden.
Das größte Problem seiner Region sei nicht die fehlende Brücke, sondern der Lärm, urteilt Walter Mallmann (CDU), der Bürgermeister von St. Goar. Täglich bis zu 300 Güterzüge donnern durch das Tal – auch nachts und teils nur wenige Meter von den Wohnhäusern entfernt. Viele alteingesessene Bewohner ertragen den Krach mit derselben Geduld wie die Fluten, die ihre Häuser alle paar Jahre unter Wasser setzen. Potenzielle Neubürger fühlen sich dagegen abgeschreckt. Immobilien sind oft unverkäuflich, Platz für Neubaugebiete gibt es zwischen Rheinufer und den Felswänden sowieso nicht.
Immerhin bringt der Welterbe-Titel inzwischen wieder mehr Gäste in die Region. „In Japan gibt es Reiseunternehmen, die Touristen auf Rundreisen ausschließlich Welterbestätten zeigen“, berichtet der Fährunternehmer Klaus Hammerl. „Die Auswirkungen spüren auch wir.“ Auf der linken Rheinseite, in St. Goar, flanieren amerikanische und holländische Touristen durch die Straßen und schießen Erinnerungsfotos vor dem „Cuckoo-Clock-Center“, wo allerlei kitschige Deutschland-Souvenirs zu haben sind: Plüschbären, Ansichtskarten mit chinesischer oder russischer Übersetzung des Loreleylieds und, natürlich, Kuckucksuhren. Früher allerdings kamen die Urlauber für zwei Wochen, heute bleiben die meisten nicht einmal über Nacht.
Hammerls Vorfahren halfen bereits im 16. Jahrhundert als leibeigene Fährleute der Landgrafen von Hessen Reisenden, bei St. Goarshausen über den Fluss überzusetzen. „Wir sind selbst Teil des Welterbes“, sagt der Geschäftsführer der Fähre Loreley. Im Gegensatz zu Bussen und der Bahn erhalte er dennoch „keinen Cent“ von den Kommunen, um das Angebot fahrgastfreundlicher zu gestalten. Die geplante Mittelrheinbrücke würde nicht nur seine Fähre in die Pleite treiben. Auch die Kollegen in Kaub, Lorch und Boppard wären ruiniert, ist der Unternehmer sicher.
Ob das Tal ohne Fähren noch dasselbe wäre, ob eine Brücke den Menschen helfen würde, zur Arbeit zu kommen, oder aber nur zusätzlichen Durchgangsverkehr anziehen würde, ob Welterbetitel, Wanderer und Fahrradtouristen der Region aus dem Dornröschenschlaf verhelfen könnten – so richtig weiß das alles niemand. Pfarrer Rein hat sich darauf eingestellt, dass seine Gemeinde weiter schrumpfen wird. Er will sich auch künftig dafür engagieren, dass diejenigen, die bleiben, in der Kirche ein Stück Heimat finden. „Klein zu sein, bedeutet nicht, am Ende zu sein“, sagt er.
Quelle: www.welt.de – von Karsten Packeiser 24. Juli 2009, 12:28 Uhr