Brief des BUND Rheinland-Pfalz an die Ministerpräsidentin
Sehr geehrte Frau Ministerpräsidentin,
die Planungen zum Bau einer Mittelrheinbrücke sind wieder aufgenommen worden. Mit der Einleitung des ROV wurden auch die Gutachten neu erstellt, mit denen der beste Standort der festen Rheinquerung belegt werden soll. Die Absicht, auch den Verzicht auf die Brücke und den Weiterbetrieb der Fähren zu untersuchen, ist hingegen kaum erkennbar.
Die Gutachten weisen erhebliche Mängel auf. Dadurch wird das Ergebnis, eine Brücke 3,5 km außerhalb von St. Goar und St. Goarshausen zu bauen, entscheidend beeinflusst. Die wesentlichen Unterlassungen (weitere sind in unserer oben erwähnten Stellungnahme genannt) sind der sehr wahrscheinliche Wegfall eines Großteils der Fährangebote (der entsprechende Brief der Fährbetreiber sollte lhnen vorliegen), die fehlende Berücksichtigung der öffentlichen Verkehrsmittel und die notwendigen Umwege und damit eine Verkehrszunahme. Zusätzlich erkennen wir eine völlig unrealistische Kostenschätzung.
Wir müssen leider feststellen, dass diese Rheinquerung nur für wenige Menschen einen Vorteil, für viele, vor allem für viele Anwohner*innen, erhebliche Nachteile bringen wird. Wir möchten Sie daher dringend bitten, die Planung an realistischen Entwicklungen und Fakten festzumachen. Die Brücke, die eigentlich zur Aufgabe hat, die beiden Rheinufer zu verbinden, wird eher zu einer Trennung beitragen, da Querungsmöglichkeiten durch den überwiegenden Wegfall der Fähren abnehmen werden. Die Fortschritte, die dadurch erzielt wurden, dass die meisten Fähren in den VRM integriert wurden, würden hinfällig. Folge wäre wieder einmal die Zunahme des Individualverkehrs, was im Zeitalter der dringend notwendigen Verkehrswende völlig kontraproduktiv ist. Über einen Ersatz der Fährverbindungen
liegen keinerlei Aussagen vor. Somit muss davon ausgegangen werden, dass keine Ersatzquerungen geplant sind. Schulen, Verwandte, Arbeitsplätze, Arztpraxen oder Krankenhäuser auf der anderen Rheinseite können von da an nicht mehr oder nur noch mit dem Kfz erreicht werden.
Der öffentliche Nahverkehr wird erhebliche Zusatzkilometer fahren müssen – und das nicht nur im Schüler*innenverkehr. Durch verlängerte Fahrzeiten wird die Nutzung sinken. Das Gegenteil ist aber erwünscht. Für Pkw-Fahrten wird hingegen mit deutlichen Umwegen zu rechnen sein. Wo bisher eine Fähre eine kurze Verbindung hergestellt hatte, wird in Zukunft über die Mittelrheinbrücke zu fahren sein. Dies bedeutet beispielsweise von Boppard (Schulen!) nach Filsen/Osterspay einen Umweg von rund 50 km, von Kaub nach Lorch gar von etwa 80 km.
Die Baukosten der favorisierten Brückenvariante werden mit gesamt 40 Mio, € netto für 2030 angegeben. Bereits 2009 wurden 40 Mio. € netto genannt. Auf Nachfrage der UNESCO hat das Land dann weitere 2O Mio. € als „Nebenkosten“ hinzugefügt (Architekten-, Ingenieurs-, Gutachtenkosten usw.). lm Jahr 2030 werden nach den jetzigen Gutachten die Baukosten der gleichen Brücke erstaunlicherweise wieder um 2O Mio. € geringer ausfallen. Nach soliden Schätzungen betragen die Brückenbaukosten hochgerechnet auf das Jahr 2O3O mindestens 100 Mio. €. Als Vergleichswert können die Kosten für die Erneuerung der Pfaffendorfer Brücke in Koblenz dienen. 2011 wurden 99,1 Mio. € angegeben. Dabei ist zu berücksichtigten, dass im Vergleich zu einer Mittelrheinbrücke nur der Überbau erneuert wird, die Widerlager bleiben bestehen. Leider wird wenig berücksichtigt, dass die Fähren die mit Abstand günstigste Kostenlösung sind. Selbst ein 24-Stunden-Betrieb, der durch Steuergeld subventioniert würde, wäre auch auf Dauer erheblich preiswerter als eine Brücke, da bei dieser zudem noch Betriebskosten einkalkuliert werden müssen. Bei einer – erwünschten – Reduzierung des Individualverkehrs wird diese Bilanz noch ungünstiger für die Brücke.
Verkehr erzeugt Lärm. ln den vorgelegten Gutachten wird bereits jetzt – unter Bewertung der herangezogenen, unvollständigen Zahlen – bestätigt, dass der Verkehrslärm in allen geprüften Varianten der festen Rheinquerungen deutlich zunimmt. Dies wird etwa die Rheinfels-Grundschule in St. Goar mit bis zu 64 dB(A) am Tag betreffen. Die Variante mit dem geringsten Lärm ist offenbar die Null-Variante.
Wenig bis keine Berücksichtigung findet auch die immer wieder erforderliche Sperrung der B42 / B9 bei Hochwasser. Diese Tatsache schränkt die Nutzung der Mittelrheinbrücke deutlich ein und wird dazu führen, dass richtig große Umwege gefahren werden müssen. Die Fähren können oft noch fahren, wenn die Straßen bereits gesperrt sind. Durch relativ einfache Maßnahmen sind die Möglichkeiten für die Fähren noch deutlich zu verbessern.
Nicht nachvollziehbar ist die Darstellung im Gutachten, dass der Betrieb einer seit Jahrhunderten bestehenden Querung des Rheins mittels Fähre weniger welterbeverträglich sein soll als die favorisierte Brücke. Die UNESCO würdigt ausdrücklich die historisch gewachsene Verkehrslandschaft im Welterbegebiet in ihrer Anerkennung: „Das Mittelrheintal ist ein herausragendes Beispiel für einen gewachsenen traditionellen Lebens- und Verkehrsstil in einem engen Flusstal.“ Allein diese Feststellung muss bewirken, dass ausschließlich die Optimierung des Fährverkehrs für die Rheinquerung in Betracht zu ziehen ist.
Wir bitten Sie dringend, sich für einen Verzicht auf eine Mittelrheinbrücke einzusetzen.
Für Rückfragen und zu einem Gespräch stehen wir gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Sabine Yacoub
Landesvorsitzende