Die Rheinromantik rund um die Loreley könnte bröckeln. Schuld ist eine Brücke: In der Kulturerbegekrönten Region gibt es auf hundert Stromkilometern keine Rheinquerung. Nun will man die Unesco für eine Brücke gnädig stimmen. Die Landesregierung weiß, worauf es ankommt.
Seit Heinrich Heine die Loreley besang, betätigen die Deutschen alle Schalmeien, wenn es um das Rheintal geht – selbst noch im nüchternen 21. Jahrhundert. So auch die „Monumente“, das „Magazin für Denkmalkultur in Deutschland“, als es sich im Dezember 2008 „auf die Suche nach der Rheinromantik“ begab:
„Schiffe schieben sich durch den aufsteigenden Nebel übers Wasser, fahles Licht scheint durch den Dunst, das Laub der Weinberge leuchtet, Wolkenfelder geben geheimnisvoll Burgruinen frei. Wer jemals eine solche Stimmung in der dramatischen Naturkulisse des Mittelrheintals erlebt hat, der kann alle Brentanos, Heines und Mary Shelleys dieser Welt verstehen, der spürt, dass dies immer eine Gegend der Reisenden, Schauenden, Staunenden bleiben wird; der begreift, warum der Mittelrhein ein besonderes Erbe der Menschheit ist.“Und ausgerechnet hier, nahe der Loreley, soll nun eine Brücke gebaut werden – ganz so, wie in Dresden am Waldschlösschenhang.
Und wieder ecken die Planer damit unweigerlich bei der Unesco an.
Denn wie das Elbtal bei Dresden sonnt sich auch das Obere Mittelrheintal im Licht einer Auszeichnung, die weltweit begehrt ist und so etwas wie einen Adelstitel der Weltkulturgemeinschaft darstellt: 2002 wurde das Rheintal in die Liste des Weltkulturerbes aufgenommen – fast schon zu spät, denn von allen Seiten her beginnen sich Siedlungskomplexe in die hochheilige Burgromantik vorzuschieben.
Gerade dafür hatten sich die Anliegergemeinden sogar ähnlich wie in Dresden auch bei ihrem Welterbeantrag ein Hintertürchen offenzuhalten versucht, indem sie für das Rheintal ebenfalls die Sonderkategorie einer „sich entwickelnden Kulturlandschaft“ beantragt hatten. Denn es sei, wie Kulturstaatssekretär Prof. Joachim Hofmann-Göttig für die rheinland-pfälzische Regierung unterstreicht, eine „romantische Vorstellung zu glauben, dass man das Welterbe retten könne, ohne etwas zu verändern“.
Der Landrat des Rhein-Hunsrück-Kreises und Vorsitzende des Zweckverbandes Welterbe Oberes Mittelrheintal, Bertram Fleck, bekräftigt es mit dem Hinweis auf den dramatischen Bevölkerungsrückgang von 30 Prozent. Die Jugend wandere ab, die Zahl der Arbeitsplätze sei um 28 Prozent geschrumpft. Da es zwischen der Schiersteiner Brücke bei Wiesbaden und Koblenz auf hundert Stromkilometern keine einzige Rheinquerung gibt, verspreche sich eine ganze Region ein Signal des Aufschwungs von der Brücke.
30 Jahre haben die Rheintalgemeinden um die Aufnahme ins Welterbe gerungen, seit zehn Jahren wälzen sie Brückenpläne. Und natürlich kam es, wie es kommen musste: Wie die Waldschlösschenbrücke in Dresden hat auch die beabsichtigte Querung des Rheins bei St. Goar die Unesco auf den Plan gerufen.
Doch einen Eklat wie in der sächsischen Landeshauptstadt, die wegen ihres umstrittenen Brückenprojekts auf der Sitzung des Welterbekomitees in Sevilla am 24./25. Juni endgültig aus der Welterbeliste gestrichen werden soll, wollen die Rheinanlieger auf alle Fälle vermeiden.
„Wir haben der Unesco versprochen, dass wir nichts gegen sie machen – im Unterschied zu einer anderen Region Deutschlands, die ich hier nicht nennen möchte“, betonte der Kulturstaatssekretär nochmals am Wochenende – einen Monat vor der entscheidenden Unescositzung.
„Wir haben eine Umweltverträglichkeitsprüfung vorgelegt, wir haben die Unesco nie vor vollendete Tatsachen gestellt“, wirbt der Politiker, der sich selbst als ursprünglicher „Brückenskeptiker“ bekennt. Wahrhaftig lassen sich beide Projekte schwerlich gleichsetzen.
Von Anfang an nur für 50 km/h, zwei Spuren und einen einseitigen Fuß- und Radweg ausgelegt, soll die Rheinbrücke äußerst „schlank“ gehalten werden und keinen überregionalen oder Lastwagenverkehr anziehen. Um den bestmöglichen Brückenentwurf zu erhalten, hatte die Landesregierung einen weltweiten Architektenwettbewerb ausgeschrieben. Jetzt liegen die Lösungsvorschläge der zehn beteiligten Architekturbüros vor und sollen mit der Welterbeorganisation diskutiert, ihr keinesfalls aufgenötigt werden.
Ist eine neue Rheinbrücke ohne Beschädigung des Landschaftsbildes vorstellbar? Die bis 29. Mai in der Struktur- und Genehmigungsdirektion Nord in Koblenz ausgestellten Entwürfe zeigen, mit wieviel Fantasie und Variationsbreite eine elegante Lösung angestrebt werden kann. So verschwenkt die Dubliner Arbeitsgruppe von Heneghan Peng, Arup und Mitchel den flachgezogenen Fahrbahnverlauf in weitem S-Schwung über den Rhein.
Das Düsseldorfer Büro Ingenhoven wählt dafür die Sichelform, während der Stuttgarter Ingenieur Jörg Schlaich (mit Wilkinson Eyre, London, Davids Terfrüchte, Essen und SHP, Hannover) ein filigranes Spinnengewebe von Stahlseilen bis in die Weinberge hinauf zieht. Diese gewiss ästhetisch faszinierendste Lösung ist auch technisch von höchstem Reiz: Wegen der Anbindung am Hang können die Ingenieure auf einen zweiten Pylon über dem Strom verzichten.
Die wichtigste Voraussetzung für ein welterbeverträgliches Bauwerk hat die Landesregierung freilich selbst geschaffen. Der Standort wurde fünf Kilometer vom Loreleyfelsen abgerückt – in einen Rheinabschnitt flussabwärts außer Sichtweite von St. Goar. An dieser Stelle tangiert die Brücke keine einzige wichtige Sichtbeziehung – ganz anders als etwa in Dresden, wo sie den von Künstlern so oft gemalten Waldschlösschenblick auf die Stadtsilhouette schneidet.
Doch selbst wenn sämtlichen Beiträgen die Anerkennung der Unesco versagt bliebe, könnte sich die Regierung in Mainz noch immer eine Alternative vorstellen: „Dann bieten wir an, trotz schwieriger topografischer Situation einen Tunnel zu bauen, selbst wenn er 30 Millionen Euro teurer wäre“, versichert der Mainzer Kulturstaatssekretär. Denn eine Lehre habe seine Regierung aus dem Fall Dresden gezogen: „Auf die Rote Liste wollen wir nicht.“
Von Dankwart Guratzsch 26. Mai 2009, 09:00 Uhr
http://www.welt.de/kultur/article3798073/Eine-Bruecke-ein-Streit-und-ein-zweites-Dresden.html?page=11#article_readcomments